
Inhalt
Beschluss: „Gerechte Jugendpolitik heißt Armutsbekämpfung!“
am 09.05.2025 - 12:54 Uhr
Adressat*innen: die Vollversammlung des LJR
Die Vollversammlung beauftragt den Vorstand und den Hauptausschuss mit der Fortführung und Einrichtung der Arbeitsgruppe Kinder- und Jugendarmut als Gremium des Landesjugendrings. Kinder- und Jugendarmut muss ein Schwerpunktthema des LJR werden, denn Jugendpolitik heißt Teilhabe und umfassende Teilhabe für alle Kinder und Jugendliche ist nur durch Armutsbekämpfung gewährleistet!
Die AG Kinder- und Jugendarmut hat das Ziel,
- den Vorstand/die Verbände zu Kinder- und Jugendarmut zu beraten und politische Forderungen zu entwickeln,
- das Thema wiederkehrend zu platzieren und auf die Agenda zu setzen,
- Information, Sensibilisierung und Fortbildung der Verbände zu fördern,
- über aktuelle Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren.
Dies schließt mit ein:
Verbände stellen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene bereit, Förderbedarfe aufzuzeigen und sich für niedrigschwelligen Zugang zu Fördermöglichkeiten einzusetzen.
Begründung
Die AG Kinder- und Jugendarmut wurde durch einen im Hauptausschuss 2024 angenommenen Beschluss („Kinder- und Jugendarmut geht uns alle an“) ins Leben gerufen, der ursprünglich aus einer Auseinandersetzung, mit der für 2025 geplanten Kindergrundsicherung resultierte. Nach der Aufnahme der Arbeit der AG und dem Scheitern der Einführung der Kindergrundsicherung wurde schnell klar, dass das Thema Kinder- und Jugendarmut jedwede mögliche Unterstützung benötigt, um sowohl in den Medien als auch in der Politik präsent zu bleiben. Denn aktuelle Statistiken und Studien (siehe unten) zeigen deutlich, dass das Problem der Armut und Armutsgefährdung unter Kindern und Jugendlichen keineswegs abnimmt, sondern auf einem alarmierend hohen Niveau verharrt. Alleine in Rheinland-Pfalz gilt mehr als jedes fünfte Kind als armutsgefährdet; Brennpunkte sind hauptsächlich Städte wie Pirmasens, Ludwigshafen und Kaiserslautern. Gleichzeitig wird bei einer Auseinandersetzung mit den bereits bestehenden Fördermöglichkeiten und Ansätzen zur Eindämmung von Kinder- und Jugendarmut deutlich, dass Vereinen und Verbänden – auch von Seiten der Politik – eine nicht zu unterschätzende Aufgabe zufällt, denn diese haben häufig den bei staatlichen Institutionen fehlenden Zugang zu den Betroffenen.<sup>1</sup> Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es ein Hauptanliegen der AG Kinder- und Jugendarmut, Kinder- und Jugendverbandsarbeit für alle zu ermöglichen und den Verbänden und Vereinen die bestmögliche Unterstützung zu liefern.
Obwohl Armut oder Armutsgefährdung gerade im Hinblick auf Chancengleichheit, Bildung und kulturelle Teilhabe keine Ausschlusskriterien sein sollten, sind sie dies häufig. Faktoren wie das Aufwachsen in prekären Familienverhältnissen jeglicher Art, ein Migrationshintergrund, das Leben mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen und das Aufwachsen in alternativen Formen der Betreuung sowie weitere Start- und Rahmenbedingungen wirken sich zumeist von Geburt an auf die Armutsgefährdung einer Person aus.<sup>2</sup> All diese Faktoren sind bereits seit einigen Jahren als deutliche Probleme unserer Gesellschaft benannt worden,<sup>3</sup> die für die Betroffenen teils ein ganzes Leben lang Nachwirkungen mit sich ziehen und einen Ausstieg aus der Armutsspirale enorm erschweren. Eine Verbesserung der Lage in Armut lebender oder armutsbedrohter Kinder und Jugendlicher ist jedoch in den letzten Jahren trotz dieser Erkenntnisse nicht erfolgt. Vielmehr ist nach dem kurzen Anstieg der Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen des Scheiterns der Kindergrundsicherung 2024 der Eindruck entstanden, dass das Thema von Seiten der Politik nicht weiterverfolgt wird und keinerlei Priorität mehr besitzt.<sup>4 </sup>Dabei fördert der Zugang zu Bildung nachweislich die Demokratisierung sowie die Chancengleichheit und schützt vor Radikalisierung<sup>5</sup> – wodurch gleich einer weiteren aktuellen Herausforderung aktiv entgegengewirkt werden könnte. Aus diesem Grund sehen wir auch hier dringenden Handlungsbedarf und setzen uns als Jugendverbände verstärkt für die Präsenz der Thematik in der Politik ein.
Ebenso ist auch die Bedeutung von Bildung und Kultur für die Armutsbekämpfung bereits erkannt worden,<sup>6</sup> doch – gleichwohl wie im Falle der Kindergrundsicherung – lässt die Verwirklichung der Teilhabe in diesen beiden Punkten zu wünschen übrig. Wenn dazu ebenfalls bei diesem Punkt – wie oben bereits angeklungen – von Regierungsseite derart auf die Beteiligung und Unterstützung von Verbänden und Vereinen gezählt wird,<sup>7</sup> sollten die zu diesem Zweck ins Leben gerufenen Fördermöglichkeiten<sup>8</sup> unbedingt niedrigschwelliger gestaltet werden! Die Antragsstellung für die einschlägigen Fördermaßnahmen ist sowohl für Privatpersonen als auch für Verbände und Vereine häufig mit zu hohen Hürden, einem enormen Arbeitsaufwand, einer hohen Bringschuld sowie kurzen Fristen verbunden. Gleichzeitig sind die Beantragungsprozesse für Privatpersonen bei Behörden oder im (Schul)Alltag extremst schambehaftet, da fast immer einer*einem Leiter*in bzw. einer Person des Lehrpersonals die eigene prekäre Situation offengelegt werden muss.<sup>9</sup> Hier muss dringend an niedrigschwelligeren Lösungen für alle Beteiligten gearbeitet werden!
Eine weitere diesbezügliche Herausforderung für Verbände und Vereine stellt die Erreichbarkeit der armutsgefährdeten oder armutsbetroffenen Kinder und Jugendlichen dar. Denn Kinder und Jugendliche, die in Familien mit finanziellen Defiziten aufwachsen, sind weitaus weniger in Vereinen und Verbänden aktiv oder besuchen deutlich weniger Kulturveranstaltungen, als Kinder und Jugendliche aus einem finanziell gesicherten Haushalt.<sup>10</sup> Aus diesem Grund möchten wir uns insbesondere für kostenlose und niedrigschwellige Angebote sowie für die Unterstützung bei der Beantragung von Fördergeldern aussprechen – dies ist allerdings nicht möglich, wenn die Förderungen für die Kinder- und Jugendarbeit ständig sinken oder sogar gestrichen werden! Auch hier bedarf es einer öffentlichkeitswirksamen, dauerhaften Strategie.
Insbesondere der letzte Punkt zeigt die Notwendigkeit der permanenten Platzierung des Themas Kinder- und Jugendarmut in Presse und Politik aus der expliziten Sicht der Verbände und Vereine deutlich auf. Genau hier möchten wir als AG Kinder- und Jugendarmut ansetzen, um unseren Vereinen und Verbänden als kompetente Ansprechpartner*innen zur Seite zu stehen und, um das wichtige Thema Kinder- und Jugendarmut angemessen in der Politik präsent zu halten.
Fußnoten:
<sup>1 </sup>Siehe „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz, S. 28; „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 22; 24.
<sup>2</sup> Siehe „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 13ff.; 20.
<sup>3</sup> „Internationale Studien bescheinigen Deutschland einen besonders starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Armutsgefährdung.“ („Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz, S. 15) „Empirisch belegt sind unter anderem Zusammenhänge zwischen den Faktoren Bildung, Gesundheit, Erwerbslosigkeit und Einkommen. Personen, die einen niedrigen Bildungsabschluss haben, tragen zugleich ein höheres Risiko, arbeitslos und in prekären Einkommenslagen zu sein. Auch Krankheit und ein geringer Bildungsstand der Eltern sind mit geringeren materiellen Ressourcen assoziiert.“ („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 20)
<sup>4</sup> Vgl. die Ambitionen der Bundesregierung bezüglich der Kindergrundsicherung wie in „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 24f. beschrieben. Verstärktes Engagement für Kinder und Jugendliche wird bereits im „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz von 2020 gefordert. (S. 8, 11f.; 14ff.)
<sup>5</sup> Siehe „Kräfte bündeln, Zukunft gestalten“, S. 36.
<sup>6 </sup>Siehe „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz, S. 24ff.; „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 20, 32f.; Walper/Riedel 2011.
<sup>7 </sup>Vgl. „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“, S. 29f.; 35f. Die wichtige Rolle der Verbände und Vereine bei der Umsetzung der Regierungsvorhaben ist sogar in einer Studie untersucht worden. („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 52ff.)
<sup>8</sup> Eine Sammlung der aktuellen Fördermöglichkeiten wird derzeit von der AG Kinder- und Jugendarmut vorbereitet. Ein Verzeichnis von bundesweiten Fördermöglichkeiten und Maß-nahmen findet sich in „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ ab S. 62.
<sup>9 </sup>Siehe „Kräfte bündeln, Zukunft gestalten“, S. 37.
<sup>10</sup> Siehe Walper/Riedel 2011, S. 14. Studien belegen zudem, dass der Bildungsstand der Eltern ausschlaggebend für die frühkindlichen Lernerfahrungen und die aus ihnen resultierende Teilhabe ist. (Siehe ebd. S. 14f.) Auch hier kann sich die Mitgliedschaft in einem Verband oder einem Verein positiv auf die kindliche Entwicklung und somit die Teilhabe auswirken.
Quellen und Hintergründe:
Auch in Rheinland-Pfalz ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Insgesamt waren 143.647 und damit rund 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren im Jahr 2021 armutsgefährdet.
Stark betroffen waren, wie auch bundesweit zu beobachten, besonders Kinder von Allein-erziehenden (44,1 Prozent) und Familien mit drei oder mehr Kindern (30,2 Prozent). Bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren waren 22 Prozent von Armut bedroht.
Quelle: „Factsheet Kinder- und Jugendarmut“
- „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz (2020): https://mastd.rlp.de/fileadmin/06/04_Soziales/Soziales_Dokumente/Aktionsplan_Arm- de/fileadmin/06/04_Soziales/Soziales_Dokumente/Aktionsplan_Armutsbeka__mpfung_11- 122020.pdf
- „Ein Versprechen an die Jugend“: Zusammenfassung des UNICEF-Berichts (2023): https://www.unicef.de/informieren/materialien/zusammenfassung-des-berichts-ein- versprechen-an-die-jugend-/339314
- „Factsheet Kinder- und Jugendarmut“ der Bertelsmann Stiftung zum Thema Kinder- und Jugendarmut (2023): https://www.bertelsmann- stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bildung/Factsheet_BNG_Kinder_und_Jugendarmut_2023.pdf
- „Generationengerechtigkeit“: Diskussionspapier des Bundesjugendkuratoriums zur Generationengerechtigkeit (mit den Unterpunkten Teilhabe, Bildung, Armut und Grundsicherung) (2024): https://bundesjugendkuratorium.de/presse/generationengerechtigkeit-fuer-junge- menschen.html
- „Jugend ermöglichen!“, Broschüre zum 15. Kinder- und Jugendbericht (32018): https://www.bmfsfj.de/resource/blob/114190/be92bf1a08ec1d45578d06eb9bd49d18/juge- nd-de/resource/blob/114190/be92bf1a08ec1d45578d06eb9bd49d18/jugend-ermoeglichen-jugendbroschuere-zum-15-kinder-und-jugendbericht-data.pdf
- „Kinderarmut in Deutschland“: Informationen von Save the Children zum Thema Kinderarmut (zuletzt aufgerufen am 13.02.2025): https://www.savethechildren.de/informieren/themen/kinderarmut-in-deutschland/
- „Kinderarmut inmitten von Wohlstand“: Zusammenfassung der aktuellen UNICEF- Studie (2023): https://www.unicef.de/_cae/resource/blob/344088/43de6b4ef81b7b67afe87c9bd43686af- de/_cae/resource/blob/344088/43de6b4ef81b7b67afe87c9bd43686af/report-card-18- zusammenfassung-de-data.pdf
- "Kindergrundsicherung: Besser als nichts“: Impuls der Hans Böckler Stiftung (2024): https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-kindergrundsicherung-besser- als-nichts-58539.htm
- „Kinder in Deutschland“: Bericht und Studienergebnisse von UNICEF zum Thema Kinderarmut (2023): https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/- /bericht-kinder-in-deutschland-2023/339164
- „Kindern eine Zukunft garantieren“: Bericht und Handlungsempfehlung von Save the Children an die EU zum Thema Kinderarmut (2023): https://www.savethechildren.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Bericht- de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Berichte_Studien/2023/save-the- children-kindern-eine-zukunft-garantieren-2023.pdf
- „Kräfte bündeln, Zukunft gestalten“: Schattenbericht des DBJR zur wichtigen Rolle von Bildung für die Chancen junger Menschen (2025): https://www.dbjr.de/artikel/kraefte-buendeln-zukunft-gestalten-beste-bildung- durch-eine-starke-zivilgesellschaft-ein-appell
- „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“: Nationaler Aktionsplan des BMFSFJ (2023): https://www.bmfsfj.de/resource/blob/231862/4e3eada93af3956e68861c92e3b88c0f/nati- de/resource/blob/231862/4e3eada93af3956e68861c92e3b88c0f/nationaler-aktionsplan- neue-chancen-fuer-kinder-in-deutschland-data.pdf
- Studie der Hans Böckler Stiftung zur Kindergrundsicherung (2024): https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2024_03_08.pdf
- Zweiter Kinder- und Jugendbericht Rheinland-Pfalz; besonders relevant für unser Thema sind die Punkte 2.2, 2.3 und 3.1 (2015): https://www.jugendgerecht.de/downloads/2._Kinder-_und_Jugendbericht_Rheinland- Pfalz.pdf
- Stellungnahme diverser zivilgesellschaftlicher Verbände und Stiftungen zur Entbürokratisierung (2023): https://www.stiftungbildung.org/wp- content/uploads/230424_Stellungnahme_Entbuerokratisierung_StiftungBildung.pdf
- Stellungnahme und Forderungen des Ratschlags Kinderarmut (2024): https://www.dbjr.de/artikel/ratschlag-kinderarmut-verabschiedet-gemeinsame- erklaerung
- „Politik vom Kind aus denken“: Info-Seite der Bertelsmann Stiftung zum Thema Kinder, Familie und Bildung mit vielen Publikationen zum Thema Kinderarmut und Teilhabe (zuletzt aufgerufen am 13.02.2025): https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/familie-und-bildung-politik-vom-kind-aus- denken#detail-content-193494-3
- Walper, S./Riedel, B. (2011): Was Armut ausmacht. DJI Impulse, 1/2011(92/93), S. 13–15: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/Was_Armut_ausmacht.pdf
- „Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft“: Arbeitshilfe des Deutschen Kinderhilfswerks zum Thema Klassismus und Kinderarmut (2023): https://www.vielfalt-mediathek.de/material/zusammenleben-in-der- migrationsgesellschaft/klassismus-und- kinderarmut?gad_source=5&gclid=EAIaIQobChMI963P5YnhigMVw5GDBx2wMzL_EAAYAyAAEgJux- kinderarmut?gad_source=5&gclid=EAIaIQobChMI963P5YnhigMVw5GDBx2wMzL_EAAYAyAAEgJux- fD_BwE
Einstimmig beschlossen durch die 118. Vollversammlung des Landesjugendringes Rheinland-Pfalz e. V. am 5. April 2025 in Koblenz.